Als Corona ausbrach, schienen die Schuldigen schnell gefunden: Für die einen waren es Fledermäuse. Und für die anderen Wissenschafter, aus deren Labors das Virus entwichen sein soll. Einer ist diesbezüglich besonders in den Fokus geraten: Peter Daszak, der britisch-amerikanische Biologe und Virenjäger. Auf der ganzen Welt hat er für die NGO Ecohealth Alliance untersucht, wie das Abholzen von Wäldern und der Wildtierhandel das Risiko von Pandemien erhöhen. In Thailand, Malaysia oder auch in China, wo er über 15 Jahre mit dem Wuhan Institute of Virology zusammengearbeitet hatte. Und das wurde ihm zum Verhängnis – zu Recht?
Mit dieser Frage beschäftigt sich der Schweizer Dokumentarfilmer Christian Frei seit fünf Jahren. Schon während des Lockdowns hat er das Vertrauen von Peter Daszak und zwei weiteren Forschern gewonnen, die in den Strudel von Anschuldigungen, Verschwörungstheorien und Geopolitik geraten sind. Entstanden ist eine filmische Reise, auf der Frei die Rolle der Wissenschaft in dunklen Zeiten beleuchtet.
NZZ am Sonntag: Peter Daszak, Sie wollten die Welt vor Pandemien bewahren, heute werden Sie beschuldigt, das Coronavirus mit erschaffen zu haben. Wann haben Sie die letzte Morddrohung erhalten?
Peter Daszak: Gestern. Ich bekomme oft Morddrohungen. Auf X schreiben die Leute zudem, dass ich verhaftet werden und im Gefängnis landen solle. Wenn es sehr schlimm ist, melde ich es dem FBI. Denn diese Drohungen sind ernst zu nehmen: In Belgien musste ein Virologe zeitweilig untertauchen, weil ein ehemaliger Armeeangehöriger drohte, ihn zu töten. Ich lebe in den USA, wo Abtreibungsärzte von Scharfschützen erschossen werden. Schon zu Beginn der Pandemie sind Anhänger der radikalen Rechten um unser Haus geschlichen. Hochrangige Politiker werden vermutlich ähnlich attackiert, geniessen aber den Schutz der Behörden – wir sind allein.
Wie schützen Sie sich?
Daszak: Wir haben Sicherheitskameras, Sicherheitspersonal, und wir wissen immer, wo sich unsere Kinder aufhalten, deren Namen auch schon auf Todeslisten aufgetaucht sind. Ich sage Ihnen jetzt ganz offen, dass ich in jedem Zimmer meines Hauses Waffen versteckt habe, um uns im Notfall verteidigen zu können. Das ist für einen Wissenschafter schon sehr seltsam. Ich hätte nie gedacht, dass es so weit kommen könnte.
Auf Infowars, einem Onlineportal für Verschwörungstheorien, wurden Sie mit Hitler verglichen – der Moderator forderte Ihre Exekution.
Daszak: Je länger man darüber nachdenkt, desto mehr Angst hat man. Aber genau das wollen sie: einen zum Schweigen bringen. Und das Schlimme ist: Es funktioniert. Und wenn nicht, gehen sie auf jeden los, mit dem man redet. Forscherkollegen wollen lieber nicht in die Sache verwickelt werden. Vor kurzem hat die Bundesregierung unserer Organisation Ecohealth Alliance für fünf Jahre die Finanzierung gestrichen. Zudem bin ich als Präsident abgesetzt worden. Meine Karriere ist zerstört. Es ist eine Form des stillen Terrorismus.
Versuchen wir zu verstehen, wie es so weit kommen konnte. Zusammen mit dem Dokumentarfilmer Christian Frei und dem Virologen Volker Thiel. Welche Erinnerungen haben Sie an die Anfänge der Pandemie?
Christian Frei: Ich war an der Berlinale und musste als Präsident der Schweizer Filmakademie entscheiden, unseren Nominierten-Lunch mit 60 geladenen Gästen abzusagen. Manche Vorstandsmitglieder waren schockiert. «Bist du verrückt?», sagten sie, «dieses Virus ist doch weit weg.» Ich musste schon sehr früh lernen, auf die Wissenschaft zu hören.
Volker Thiel: Und ich pendelte damals Tag und Nacht zwischen Bern und Mittelhäusern, der Universität und dem Institut für Virologie und Immunologie. Wir waren ja die Einzigen, die hierzulande Proben vom Coronavirus hatten und während des Lockdowns ins Labor durften. Wir haben Gegenmittel getestet und beispielsweise untersucht, wie lange das Virus auf Oberflächen wie Türklinken überlebt. Zu Beginn hat man ja ganz wenig gewusst, vor allem nicht, welche Übertragungswege es gibt. Als dann klarwurde, wie schnell sich das Virus von Mensch zu Mensch und von Kontinent zu Kontinent verbreitet, bekamen wir es schon mit der Angst zu tun.
Waren Sie auch in Panik, Herr Daszak?
Daszak: Nein. Ich wusste, dass kaum ein Land besser auf solche Ausbrüche vorbereitet ist als China. Nach dem ersten Sars-Coronavirus im Jahre 2002 wurden dort mit Forschern aus der ganzen Welt Massnahmen entwickelt. Zudem habe ich das Virus anfänglich nicht für gefährlicher als das erste Sars-Coronavirus gehalten, das zwar eine recht hohe Sterberate hatte, aber nie so effizient von Mensch zu Mensch übertragen worden ist. Und da habe ich mich geirrt.
Ihre Kollegin Shi Zhengli, die am Wuhan Institute of Virology das Zentrum für neu auftretende Infektionskrankheiten leitet, war hingegen sehr besorgt. Sie testete umgehend alle Virensequenzen, durchkämmte Datenbanken und sogar den Sondermüll. «Könnte das Virus aus unserem Labor stammen?», lautete die Frage, die sie nächtelang wach hielt.
Daszak: Glauben Sie mir, diese Frage hat auch mich geplagt. Genauso wie alle anderen Labor-Hypothesen, die in den letzten Jahren aufgekommen sind. Jedes Mal dachte ich: Kann das wahr sein? Aber dann überprüft man als Wissenschafter all diese Hypothesen und findet keine überzeugende Evidenz. Schon vor dem Ausbruch war hingegen das Ausmass des Wildtierhandels in China bekannt: 14 Millionen Menschen arbeiten laut Berechnungen in dieser Industrie, sie züchten Tiere, leben in ihrer unmittelbaren Nähe und schlachten sie unter sehr unhygienischen Bedingungen – nicht nur in Wuhan, sondern in ganz China. Und das ist ein Risiko.
Thiel: Das beste Beispiel dafür ist das erste Sars-Coronavirus, das von Fledermäusen über Zibetkatzen und Marderhunde auf Menschen übertragen wurde. Darum war der Ursprung für mich klar, als die ersten Infektionen rund um den Wildtiermarkt von Wuhan aufgetreten sind.
Herr Daszak, Sie konnten 2013 das erste Sars-Coronavirus auf Fledermäuse in einer Höhle im Südwesten von China zurückverfolgen. Zusammen mit Shi Zhengli und einem weiteren Virologen wurden Sie als «Bat Pack» gefeiert – als Fledermaus-Gang. Was war das für ein Gefühl?
Daszak: Die Bezeichnung «Bat Pack» hat mir nie gefallen. Sie ist mir zu dramatisch und vermittelt ein falsches Bild von wissenschaftlicher Arbeit. Viele stellen sich vor, man jage Fledermäuse mit einem Netz, um in einem Heureka-Moment ein Virus zu entdecken. In Wahrheit braucht es jahrelange langweilige Arbeit. Wir haben den Ursprung des Sars-Virus in Südwestchina erst zehn Jahre nach dem Ausbruch gefunden. Eigentlich waren wir auf der Suche nach dem Nipah-Virus, das wir in Fruchtfledermäusen vermuteten. Stattdessen fanden wir Coronaviren.
Frei: Genau das hat mich so fasziniert, als ich im Lockdown auf das entsprechende Forschungspapier gestossen bin. Aha, dachte ich, die drei Wissenschafter, die im Zentrum der Kontroverse um Covid stehen, haben nicht nur das erste Sars-Coronavirus in Fledermäusen gefunden, sondern auch immer wieder vor neuen Ausbrüchen gewarnt. Sofort ist mir klargeworden, dass ich sie zum Thema meines nächsten Films machen will. Und mit der Zeit habe ich realisiert, dass ich nicht nur drei menschliche Protagonisten habe, sondern auch ein fliegendes Säugetier mit einem zweifelhaften Ruf.
Fledermäuse sind in der asiatischen Kultur Symbole für Glück, Langlebigkeit und Reichtum. Bei uns gelten sie als Blutsauger und Todbringer. Was sind Fledermäuse für Sie?
Frei: Die am meisten missverstandenen Säugetiere der Welt. Sie werden mit Dunkelheit und Dämonen, Vampiren und Hexerei assoziiert. Sie entziehen sich unserer Wahrnehmung und sind nachtaktiv. Das macht sie per se verdächtig. Inzwischen sehe ich sie auch als Symbol für alle Gerüchte und Verdächtigungen, die sich während der Pandemie viral verbreitet haben.
Fledermäuse gelten als superresistent gegen Viren wie Ebola, Sars oder Mers. Wie übertragen sich diese auf uns Menschen?
Daszak: Oft werde ich gefragt, ob denn eine Fledermaus vom Süden Chinas nach Wuhan geflogen sein soll, um ein Tier oder einen Menschen zu infizieren. Dabei ist es viel einfacher: Coronaviren vermehren sich bei Fledermäusen im Darm. Und die wiederum kacken auf Tiere oder Menschen, die sich so im Kontakt mit Fäkalien infizieren. Man sitzt vielleicht nachts draussen, isst ein Canapé, und eine Fledermaus kotet oder uriniert darauf.
Wer isst schon ein Canapé mit Fledermauskot?
Daszak: Wir alle, weil wir es nicht bemerken. Sie müssen sich vorstellen, dass in thailändischen und chinesischen Höhlen Fledermäuse in Kolonien mit Millionen von Tieren leben. Und die wiederum fliegen Nacht für Nacht aus. Laut Berechnungen leben in Südostasien rund 100 Millionen Menschen, von denen sich jedes Jahr etwa 60 000 Menschen auf diese Weise mit Viren infizieren, ohne es zu merken.
Thiel: Tatsächlich stammen viele, wenn nicht sogar alle Coronaviren, die bei Menschen oder Tieren auftreten, ursprünglich von Fledermäusen. Ihre Übertragung auf andere Säugetiere ist nichts Aussergewöhnliches. So könnten infizierte Tiere auch nach Wuhan gekommen sein.
Darüber wird seit dem Machtwechsel in den USA noch mehr spekuliert. Der neue CIA-Chef wirft China schon lange vor, den Ursprung des Virus zu verschleiern. Jetzt hat die Behörde ihre Einschätzung revidiert, jedoch ohne neue Fakten zu präsentieren: Ein Laborunfall sei wahrscheinlicher. Herr Thiel, kommt Corona aus dem Labor oder aus der Natur?
Thiel: Natürlich gibt es ausgerechnet in Wuhan ein Labor, das mit Coronaviren forscht. Das ist für viele verdächtig. Gleichzeitig gibt es diesen Wildtiermarkt, und wir wissen, dass dort Marderhunde gehandelt wurden, die als Zwischenwirte für Sars-Coronaviren bekannt sind. Zudem traten die ersten Infektionen in unmittelbarer Nähe dieses Marktes auf. Wenn das Virus aus dem Labor stammen soll: Warum sind die ersten Krankheitscluster nicht am Institut oder im Umfeld der Laborangestellten aufgetreten?
Umgekehrt gibt es auch für die Markthypothese keine Beweise.
Thiel: Nein, definitive Beweise gibt es leider nicht. Die chinesischen Behörden haben den Huanan-Markt nach dem Ausbruch abgeriegelt und alle Tiere getötet. Ob Proben von diesen Tieren genommen wurden, die sie als Infektionsquelle bestätigen könnten, ist bis heute unklar. Allerdings konnte später die DNA von Zwischenwirten auf dem Markt gefunden werden und auch die Virussequenz des Sars-CoV-2. Deshalb halte ich diese Art der Übertragung für am wahrscheinlichsten. Als Wissenschafter kann ich aber auch die Laborthese nicht vollständig ausschliessen. Das Problem ist, dass unsere Gesellschaft diese Antwort nicht akzeptieren kann. Wir wollen keine Wahrscheinlichkeiten, sondern nur noch Schwarz oder Weiss, Ja oder Nein. Und wer eine andere Meinung hat, wird zum Feind. Solange es für keines der Szenarien eindeutige Beweise gibt, sollte niemand an den Pranger gestellt werden.
Sie, Herr Daszak, stehen im Zentrum der Anschuldigungen, weil Sie mit Ihren Kollegen vom Wuhan-Institut riskante Experimente durchgeführt haben.
Daszak: Riskante Experimente? Da muss ich widersprechen. Experimente wie diese werden auf der ganzen Welt gemacht. Aber ja, wir haben mit Coronaviren geforscht, um sie besser zu verstehen und bekämpfen zu können. Aber in keiner dieser Arbeiten ging es um Viren, die Vorläufer des Pandemievirus waren.
Kritiker deckten auf, dass Sie bei der Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa) einen Antrag auf Fördergelder eingereicht hatten: Sie wollten Coronaviren verändern, um sie ansteckender zu machen und den Mechanismus der Infektion zu verstehen.
Daszak: Dieser Forschungsantrag wurde abgelehnt, und die Experimente wurden nie durchgeführt. Ich finde es wirklich ironisch, dass dieser Antrag zum Skandal wurde, obschon er gar nie finanziert worden ist. Die Leute sagen, na ja, wahrscheinlich wurden sie in China trotzdem gemacht. Und ich sage Nein, das stimmt nicht. Aber das spielt keine Rolle, die Öffentlichkeit will diese Geschichte glauben.
Warum haben Sie nicht transparenter kommuniziert? Dass die Informationen nur häppchenweise ans Licht kamen, hat auch bei Forschern für Skepsis gesorgt.
Daszak: Die Menschen verstehen nicht, wie Wissenschaft funktioniert. Von zehn Förderanträgen wird vielleicht einer genehmigt. Die anderen wandern direkt in den Papierkorb. Ich habe Hunderte von Anträgen verfasst, die nie finanziert worden sind. Warum sollte ich sie öffentlich machen?
Weil die Umstände besonders waren.
Daszak: Genau. Unter diesen besonderen Umständen stand meine Familie auf einer Tötungsliste. Mein Haus wurde belagert. Ich habe einen Brief mit weissem Pulver erhalten. Würden Sie in dieser Situation alle abgelehnten Anträge veröffentlichen, alle E-Mails herausgeben, damit diese Leute noch radikaler werden?
Laut einer Umfrage der «Washington Post» glaubten 2023 rund 60 Prozent der Menschen in den USA, dass das Virus künstlich entstanden sei. Warum ist diese Laborthese eigentlich so beliebt, obschon die Beweise dafür fehlen?
Frei: Verschwörungen sind als Narrative grundsätzlich sehr verführerisch: Ein Virus entweicht aus einem Labor, mächtige Akteure vertuschen es. Wissenschafter, getrieben von grenzenlosem Ehrgeiz, werfen alle ethischen Bedenken über Bord und entfesseln unkontrollierbare Kräfte. Moderne Alchemisten führen Experimente durch, die nie hätten stattfinden dürfen. Solche Szenarien erinnern an Hollywoodfilme.
Frei: Menschen haben in dunklen Stunden schon immer mit dem Finger auf Sündenböcke gezeigt oder Jagd auf Hexen gemacht. Nur sind die Dimensionen heute viel extremer. Geholfen hat auf meiner Suche nach Wahrhaftigkeit ein buddhistischer Mönch, der sagte, dass wir die Realität nur dann wirklich verstehen können, wenn wir uns vom Lärm befreien. In diesem Schlüsselmoment ist mir klargeworden, dass ich gegen meine Instinkte handeln und die Fähigkeit entwickeln muss, nicht auf die Aufregungen zu reagieren, sondern ruhig und sachlich auf die Forscher im Zentrum der Angriffe zu hören. Und ich habe in all den Jahren keinen Anlass gesehen, das zu ändern.
Der deutsche Virologe Christian Drosten hält einen natürlichen Ursprung noch immer für wahrscheinlich. In einem Interview gab er neulich jedoch zu, skeptischer geworden zu sein. Wenn er Studien aus China begutachten muss, sind die Sicherheitsauflagen entweder nicht transparent oder ungenügend.
Thiel: Ich erhalte in letzter Zeit weniger Studien aus China. Aber ich vermute, dass bei gewissen Arbeiten Angaben zur Biosicherheitsstufe fehlen.
Daszak: Uns ist auch vorgeworfen worden, Experimente auf der falschen Sicherheitsstufe durchgeführt zu haben. Damals war für die Arbeit mit Fledermaus-Coronaviren sowohl in China als auch den USA die Biosicherheitsstufe 2 vorgeschrieben. Würde man heute Stufe 3 fordern? Vermutlich. Aber Regeln sind Regeln, und die wurden seinerzeit befolgt.
Wie kommen diese Regeln überhaupt zustande?
Thiel: Grundsätzlich machen Forscher von geplanten Arbeiten eine Risikobewertung, die von den Behörden begutachtet wird. Eine Bewilligung kann nur dann erteilt werden, wenn die Risikobewertung und die Sicherheitsstufe angemessen sind. Ich würde bei solchen Experimenten sicher Stufe 3 vorschlagen, und hiesige Behörden würden diese auch verlangen. Aus der Ferne ist das alles aber schwer zu beurteilen. Wenn etwas die Laborthese am Leben hält, dann ist es die mangelnde Transparenz Chinas. Ich verstehe nicht, warum die Labordaten aus der entsprechenden Zeit nicht einfach offengelegt werden. Dann könnte man sicher ein paar Vermutungen entkräften.
Daszak: Zu Beginn der Pandemie war China sehr transparent. Die Behörden haben alle Wildtierfarmen geschlossen und zugegeben, dass in Wuhan Wildtiere gehandelt worden sind, die als Träger der Coronaviren gelten. Die Informationspolitik hat sich geändert, als Trump im Zuge der Forderungen nach Reparationszahlungen vom «China-Virus» zu sprechen begann. Handkehrum haben wir es mit einer autoritären Regierung zu tun. Vertreter der Kommunistischen Partei stehen an der Spitze jedes Instituts. So musste auch ich mich in Momenten des Zweifels fragen, ob es im Labor eine Arbeitsgruppe gegeben haben könnte, von der ich nichts wusste. Aber dann schaut man auf 20 Jahre Zusammenarbeit zurück und kann sich an keine einzige Aussage, keinen Versprecher, schlicht nichts erinnern, das Anlass zu Misstrauen hätte geben können.
Was macht Sie eigentlich so sicher? Sie können unmöglich alles mitbekommen haben.
Daszak: Wie jeder Wissenschafter kann man sich nie zu 100 Prozent sicher sein, aber unsere Gruppe hat über 15 Jahre lang mit dem Labor in Wuhan zusammengearbeitet. Wir haben es immer wieder persönlich besucht, wir hatten amerikanische Mitarbeiter vor Ort, die Mandarin sprechen, manchmal monatelang. Alles, was wir sagen können, ist, dass es keine Beweise für ein ruchloses Verhalten oder das Verbergen von Informationen gibt – in über 15 Jahren überhaupt keine. Wir müssen also zu dem Schluss kommen, dass die These eines Laborlecks nicht glaubhaft ist.
Wie sehr hat die Forschung unter all dem gelitten?
Daszak: Die chinesischen Forscher sind viel nationalistischer geworden, sie publizieren wieder vermehrt in chinesischen Journalen und suchen die Zusammenarbeit weniger. Das ist ein echter Verlust, auch für die globale Sicherheit. Wenn wir uns vor Krankheiten schützen wollen, die oft zuerst in China auftauchen, dann fehlt uns der Zugang zu frühen Informationen, die Leben retten können. Das ist eine Schande.
Herr Frei, die Arbeit an diesem Film dürfte nicht einfach gewesen sein. Gab es eigentlich Versuche der Einflussnahme?
Frei: Darauf möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen. Wichtig zu sagen ist mir aber: Wir leben in einer Zeit der perfiden und paranoiden Umkehrung von Wahrheit. Der amerikanische Vizepräsident J. D. Vance sagte neulich an der Münchner Sicherheitskonferenz, Covid komme aus dem Labor und das sei ein Fakt. Nein, ist es nicht. Trump hat ja auch behauptet, Selenski sei ein Diktator. Und Putin? Das Schlimme ist, dass wir in diesem Lärm alle die Orientierung verlieren.
Währenddessen breitet sich in den USA die Vogelgrippe rasant auf Kühe und sogar Menschen aus. Elons Musks neue Sparbehörde hat nicht nur die Ebola-Prävention, sondern auch Vogelgrippe-Inspektoren «versehentlich» abgeschafft. Jetzt versucht man sie verzweifelt wieder anzustellen.
Thiel: Es ist wirklich beängstigend. Früher waren die USA eine prestigeträchtige Destination für jede Forscherkarriere. Aber das ändert sich gerade. Ich habe Kollegen, die nur noch eines wollen: weg. Weil sie wie Peter bedroht werden oder um ihre Fördergelder fürchten müssen. Umgekehrt hört man, dass der neue Gesundheitsminister Robert F. Kennedy den Mitgliedern von Biosafety Now lukrative Jobs anbieten soll – das ist jene Organisation, die schon während der Pandemie das Schliessen von virologischen Forschungslabors gefordert hat. Diese Anti-Wissenschaft breitet sich immer weiter aus.
Auch hierzulande?
Thiel: In der Schweiz ist sicher alles moderater. Wer sich aber zu sehr auf Social Media exponiert, wird beschimpft oder gar bedroht. Ich bin jedoch nicht sehr aktiv, bekomme dafür abstruse E-Mails von Leuten, die mir weismachen wollen, dass es Corona nie gegeben habe. Die grosse Frage ist für mich, wie die europäische Politik reagiert: Wird sie sich weiterhin hinter die Wissenschaft stellen oder sie in Zukunft ebenso bekämpfen, wie es die amerikanische Regierung gerade tut? Das wäre das Schlimmste.
Wie konnte es eigentlich so weit kommen?
Frei: Ich bin überzeugt, dass Covid und das gezielte Bewirtschaften von Spekulationen eine grosse Rolle bei dieser Entwicklung gespielt haben. Wissenschafter sind Opfer einer neuen Aufmerksamkeitsökonomie, die nur auf Klicks abzielt. Komplexe Zusammenhänge auf einfache Antworten zu reduzieren, ist schlicht unmöglich. Gleichzeitig sind Wissenschafter unangenehm für all jene, die Narrative bedienen, um mit ihnen Politik zu machen.
Daszak: Mich spornt diese Entwicklung an. Und ich lasse mich auch nicht canceln. Momentan bin ich dabei, eine neue Organisation aufzubauen. Pandemien sind das Ergebnis unseres Umgangs mit dem Planeten. Wir sind die invasivste Spezies, dringen immer weiter in die Lebensräume jener Wildtiere vor, die Viren verbreiten. Und damit meine ich nicht nur die sogenannten bösen Chinesen, die Fledermaussuppe essen. Wenn Sie beim Skifahren die Pelze an den Kapuzen der Menschen sehen, dann sind das Waschbärhunde, Silberfüchse, Nerze – Träger von Coronaviren – «Made in China». All das wird zu neuen Ausbrüchen führen und nicht nur Menschenleben kosten, sondern auch Billionen von Dollar. Das ist der Grund, warum ich weiterkämpfe.