Als es vollbracht war und er den Oscar endlich in den Händen hielt, da zeigte Leonardo DiCaprio der Welt noch einmal, was er am besten kann: Vor Millionen von Zuschauern hielt er eine Rede gegen den Klimawandel («die grösste Bedrohung»), gegen die grossen Verschmutzer («diese Politik der Gier») und gegen die Zerstörung des Planeten («nehmen wir ihn nicht für selbstverständlich»).
Grosses Kino, wie immer bei DiCaprio. Das Publikum war hin. Es ist ja auch keine schlechte Idee, nachhaltiger zu leben, die Erde zu retten. Nur: Würden alle auf so grossem Fuss leben wie der Schauspieler aus den USA, dann brauchten wir nicht nur einen, sondern 7,7 Planeten. Und das ist noch eine optimistische Rechnung.
Leonardo DiCaprio, 41, bester Charakterdarsteller unserer Zeit, gilt als engagiertester Grüner Hollywoods. Er hat den Naturschutz zu seinem Hobby erklärt und 1998 eine Umweltstiftung gegründet. Er ist so etwas wie Al Gore, nur jünger und sexyer: eine Allzweckwaffe, um eine mühsame Sache wie Ökobewusstsein an die Masse zu bringen. Für die Vereinten Nationen ist er als Botschafter unterwegs, Klimamarsch New York, Gipfel in Paris, WEF Davos – Mission Klimaschutz. Nur gibt DiCaprio wenig Antworten darauf, wie dieser konkret geht. Er wirft eher neue Fragen auf: Braucht es um jedes Gramm Kohlendioxid wirklich so viel Lärm? Werden Jets mit Solarenergie betrieben? Und müssen da denn alle mitmachen?
Es ist sein Lebensstil, der diese Fragen aufwirft. Sein ökologischer Fussabdruck. Das ist der Anteil an der Erdfläche, den jeder Mensch für seinen Konsum beansprucht. Und der Platz, um die dabei entstandenen Emissionen wieder abzubauen. Für Wälder zum Beispiel, die Kohlendioxid in Sauerstoff verwandeln. Da die Anfrage an die «Leonardo DiCaprio Foundation» unbeantwortet blieb, versuchen wir die Fragen für ihn durchzuspielen. Jeder kann das mit dem Footprint-Rechner, etwa auf footprintnetwork.org:
Wie oft essen Sie tierische Produkte? DiCaprio ist Vegetarier, offiziell. Das ist auch besser für seine Ökobilanz, über 70 Prozent der globalen Landwirtschaftsfläche werden für Tiere und die Herstellung ihres Futters verwendet. Als er jedoch vor Jahren einen «Time»-Journalisten zum Einkaufen in den Supermarkt mitnahm, verbrauchte er am allermeisten Zeit an der Steak-Auslage. Laut Medienberichten wird Leo zwischendurch rückfällig, wie etwa im La Palazzo in Las Vegas. Klicken wir also die mittlere Antwort an: zwischen «gelegentlich» und «täglich» tierische Produkte essen.
Wie viele Ihrer Lebensmittel sind verarbeitet, verpackt und stammen nicht aus der Region? «Ich kaufe nur Bio», sagte DiCaprio dem Magazin «Vanity Fair». Für einen Kosmopoliten wie ihn dürfte es jedoch trotz Prominenten-Bonus schwierig sein, in den Restaurants der Welt auf Lebensmittel zu bestehen, die nicht in beheizten Treibhäusern gezüchtet oder um den Planeten geflogen wurden. Wir schätzen: «die Hälfte».
Wie viel Abfall verursachen Sie im Vergleich zum Durchschnittsamerikaner? Eher «weniger». Immerhin hat DiCaprio kürzlich in eine Firma investiert, die Abfallverursacher mitverwertern verbindet.
Welcher Haustyp beschreibt Ihr Zuhause am besten? Laut «Forbes» «Luxus-Wohneigentum» in Los Angeles, Pool, Basketballfeld. Um herauszufinden, wie viel Energie DiCaprio zum Heizen oder Klimatisieren tatsächlich verbraucht, müsste man mehrere Immobilien anklicken können. Er hat noch ein Anwesen in der Wüste von Palm Springs, mit Gästehaus, Tennisplatz. Dann ist da noch das Strandhaus in Malibu, die Wohnung im River House in New York und das Apartment im Delos-Ökohaus mit Vitamin-C-Dusche oder Aromatherapie-Belüftung.
Wie viele Personen leben in Ihrem Haushalt? «Eine», die blonden Models kommen und gehen. Wie viele Quadratmeter hat Ihr Zuhause? Mit Sicherheit: «250 Quadratmeter oder grösser.»
Wie weit fahren Sie pro Woche mit dem Auto? Leo besitzt Hybridautos, fliegt angeblich aber auch gerne Helikopter, um den Verkehr zu umgehen. «80 bis 240 Kilometer» dürften nicht übertrieben sein.
Wie weit fahren Sie pro Woche mit dem Motorrad? «Nicht weit.»
Wie viel Benzin verbraucht das Auto, mit dem Sie am meisten unterwegs sind? «Weiss nicht.» Bei all den Limousinen, in denen der Star herumchauffiert wird, ist das schwer zu sagen. Sicher ist er dabei «sehr oft» mit anderen Leuten wie Bodyguards unterwegs.
Wie weit reisen Sie pro Woche mit öffentlichen Verkehrsmitteln? Gegen «null Kilometer», was im Falle eines dauernd verfolgten Superstars nachvollziehbar ist. Während jedoch andere wie Angelina Jolie auch Holzklasse fliegen, wird DiCaprio nur beim Ein- und Aussteigen bei privaten Jets fotografiert. Laut Wikileaks ist er im April und Mai 2014 in nur sechs Wochen sechsmal zwischen Los Angeles und New York hin- und hergeflogen. Einmal flog er für acht Stunden nach Las Vegas. Dabei verursachen schon First-Class-Passagiere dreimal mehr Emissionen als diejenigen in der Economy. Weil die Sitze viel schlechter ausgelastet sind und dazu mehr Platz und Personal brauchen. Und um wie viel höher ist die Belastung im Privatjet? «Im Extremfall kann man von einem Faktor 100 ausgehen», sagt Peter de Haan, Umweltberater bei Ernst, Basler + Partner und ETH-Dozent für Energie und Mobilität. Private Jets haben eine noch viel schlechtere Auslastung. Wenn sie nicht parkiert werden können oder die Crew zurück muss, fliegen sie leer in den Heimflughafen zurück und machen dieselbe Strecke nicht zwei-, sondern viermal.
Wie viele Stunden fliegen Sie pro Jahr? Das Maximum: «100 und mehr Stunden». Ohne die Fliegerei könnte der Schauspieler ja weder seinen Beruf noch sein Engagement ausüben. Nur: Privat ist DiCaprio ebenso umtriebig, Ibiza, Capri, St. Barts. Er sagt jedoch: «Der Klimawandel verlangt, dass wir alle unseren Lebensstil radikal verändern.» Alle, ausser Leo, der Silvester auch gerne zweimal feiert. 2012 hat er mit seinen Freunden in Sydney angestossen. Um eins sind sie nach Las Vegas geflogen und pünktlich vor Mitternacht angekommen. Und wenn Richard Branson den Weltraumtourismus lanciert, ist DiCaprio der Erste an Bord der «Virgin Galactic». Das Ticket ins All hat er schon.
Der Footprint-Rechner spuckt aus, dass wir 7,7 Erden brauchten, wenn alle so lebten wie Leonardo DiCaprio Das ist natürlich nur eine Schätzung. Er käme wohl auf ein ganzes Planetensystem, wären seine Immobilien, seine Ferientrips und seine Hobbys mitgerechnet. Wobei das Flyboard noch das kleinste Übel ist, das Wassersportgerät, das mit Jet-Ski-Antrieb fliegt. Es sind die Superjachten, die zu DiCaprio gehören wie die schmelzenden Gletscher zum Klimawandel. Obwohl sie schon im Hafen Unmengen an Energie für Klimatisierung oder Elektrosysteme verbrauchen. Die «Topaz» zum Beispiel. An der Fussball-WM in Brasilien entspannte er sich nicht zum ersten Mal auf der fünftgrössten Jacht der Welt, 24 000 PS, Schiffsdieselverbrauch: geheim. Sie gehört einem Ölscheich. Als DiCaprio am New Yorker Klimamarsch von einer Journalistin des Fernsehsenders PJTV auf seinen Lebensstil angesprochen wurde, sagte der sonst so eloquente Schauspieler nichts, während seine Bodyguards sie diskret wegdrückten.
Nichts ist einfacher, als das Engagement anderer zu kritisieren und ihnen mehr Selbstmarketing als Gutmenschentum zu unterstellen. Insbesondere, wenn es sich um Stars handelt. Die «Leonardo DiCaprio Foundation» hat Umweltorganisationen auf der ganzen Welt mit 45 Millionen Dollar unterstützt. Er investiert in nachhaltige Unternehmen und produziert einen Dokumentarfilm wie «Cowspiracy», der die ökologischen Folgen des Fleischkonsums thematisiert. Gerade hat er sich die Filmrechte zum VW-Abgas-Skandal gesichert. Und er lässt keine Gelegenheit aus, um der Welt zu sagen, dass es so nicht weitergeht.
Doch kann sich eine Ökobilanz durch all diese Summen und Taten wieder ausgleichen? «Ja», sagt Peter de Haan, «wenn man die soziale Ungerechtigkeit akzeptiert, dass nicht alle Menschen gleich sind.» Was jedoch ebenso zählt wie die Wirklichkeit, ist die Wahrnehmung. «Es sind nicht die einzelnen Ferrari-Fahrer, die den Unterschied machen und den Wandel herbeiführen, es sind die Massen der Otto Normalverbraucher.» Und die denken: Wenn nicht einmal DiCaprio, der grosse Umweltschützer, auf Klimasünden verzichten muss, warum soll dann ich?