In einer Herbstnacht des Jahres 2020 planen vier junge Männer den Kampf um die wertvollste aller Ressourcen: Land.
Sie sitzen an einem Lagerfeuer im Epping Forest, nordöstlich von London. 1871 haben Bürger hier gegen Gutsherren gekämpft, die noch den letzten Wald einzäunen und privatisieren wollten, Quadratmeter für Quadratmeter. 150 Jahre später lassen die vier Whisky kreisen und Ideen, wie sie ihr Land zurückholen können.
Sie sind keine Anarchisten, stehen weder am Rande der Gesellschaft, noch kleben sie sich mitten auf Strassen. Sie haben an guten Universitäten studiert und sind Autoren, Historiker und Anwälte. Und zu ihren Waffen zählen Bücher, die Bestseller wurden.
Allen voran «Who Owns England?» von Guy Shrubsole, der seit 2016 auf das aufmerksam macht, was sie Englands dunkelstes Geheimnis nennen: Einem Prozent der Bevölkerung gehört die Hälfte des registrierten Landes. Und 92 Prozent aller Wälder, Weiden und Seen sind tabu für alle anderen, versteckt hinter Weissdornhecken oder Mauern, abgeschirmt mit Schildern, auf denen «Kein Zutritt» steht oder «Unbefugte werden bestraft». Kann das sein? Und wie kommt es, dass wenige so viel Land besitzen und so viele so wenig?
Es sind Fragen, die alle angehen in einer Welt, der das Land ausgeht. Boden braucht es für Häuser, in denen wir wohnen, er enthält das Wasser, das wir trinken, oder die Rohstoffe, die wir brauchen. Und je knapper er wird, desto härter der Kampf. «Dieses Land ist unser Land», schreibt Shrubsole in seinem Buch, «holen wir es uns zurück.»
Vier Jahre, ein Brexit und eine Pandemie später ist er unterwegs zum Stadtpark von Cirencester: Wo in Morgenstunden sonst nur Hundebesitzer mit ihren Labradoren unterwegs sind, strömen an diesem Sonntag im März 2024 ganze Menschenscharen zu einem sogenannten «Mass Trespass» – einem Massenhausfriedensbruch.
Viele stammen aus dieser Kleinstadt im Südwesten Englands. Andere sind durch die Rosamunde-Pilcher-Landschaft der Cotswolds hergewandert oder von weit angereist. Sie tragen Wanderschuhe, Eulenmasken oder Federn im Haar. Und es kommen immer mehr, mit Fahnen und Schildern, auf denen zu lesen ist: «Die Natur sollte allen gehören», oder: «Ich will meine Landschaft zurück!»
Niemand würde auf die Idee kommen, dass Shrubsole zu den Organisatoren zählt. Der 38-Jährige wirkt eher zurückhaltend mit den feinen Gesichtszügen. Dabei hat er mit dem Illustrator Nick Hayes 2020 eine Kampagne gegründet, die britische Landbesitzer ebenso fürchten wie Anwohner des Zürichsees die Uferinitiative. Sie wollen aber nicht nur einen See zugänglicher machen, sondern quadratkilometerweiseNatur, von Dartmoor im Süden bis zur schottischen Grenze. Mit einem sogenannten Right to Roam – dem Recht, auch auf privatem Land wandern zu dürfen, Land wie den Cirencester Park.
Hinter dem Gusseisenzaun erstreckt sich ein Anwesen, das grösser ist als die Stadt Bern und einem einzigen Mann gehört: Lord Bathurst. Dazu zählen Felder, Landwirtschaftsbetriebe, Neubausiedlungen und Sehenswürdigkeiten wie ein Schloss, die mit 14 Metern weltweit höchste Eibenhecke oder ebendieser Park, der 326 Jahre lang allen offenstand, vom Adeligen bis zum Bauern. Neu aber soll bezahlen, wer nur eine Runde joggen oder Gassi gehen will. Vier Pfund pro Person – um den Unterhalt zu decken, wie der Freund von König Charles kommunizieren liess.
«Unterhalt? Eine Schande ist das!», sagt eine Anwohnerin in dem wachsenden Pulk von Jungen, Familien und Rentnern.
Es geht hier um mehr als einen Gratiseintritt in den Park oder das Recht, im Wald zu joggen: Es geht um Identität, Klasse und Geschlecht, aber auch um Zugehörigkeit und Tradition. «Die Bathursts machen mit Landverkäufen Millionen, während wir für Familienausflüge sparen müssen?», schimpft sie weiter. «Es ist bitter.»
So einen Aufmarsch hat dieses 19000-Leute-Städtchen ewig nicht mehr erlebt. Guy Shrubsole hingegen führte schon Hausfriedensbrüche durch Anwesen wie Berry Pomeroy, das dem Duke of Somerset zur Fasanenjagd dient. Die Bewegung Right to Roam war im Englefield Estate des Parlamentariers Richard Benyon. Und im Januar in Dartmoor, wo ein juristischer Kampf um das letzte Wildcampingrecht tobt, seien 3500 Leute gekommen, erzählt Shrubsole. «Dank Umfragen wissen wir, dass 68 Prozent der Bevölkerung die Natur zugänglicher machen wollen – über die Parteigrenzen hinweg.»
Es ist, als wäre England ein grosser Nationalpark: Die Menschen dürfen sich zwar auf einem Wegenetz von rund 225000 Kilometern bewegen, jedoch keinen Fuss auf einen Grossteil der Landschaft setzen. Sie fordern ein sogenanntes Jedermannsrecht, wie Finnland eines hat, Norwegen oder seit 2003 auch Schottland. Und in der Schweiz ist es laut Artikel 699 im Zivilgesetzbuch ebenso allen erlaubt, durch Wälder, Weiden und unkultivierte Natur zu streifen. Wer würde schon als Privileg erachten, durch den Wald zu joggen oder im Fluss zu schwimmen? In England ist jedoch auch Letzteres Luxus.
Dass heute Cirencester angepeilt wird, ist kein Zufall: «Wir versuchen ständig, auf moderne Formen von Einhegungen aufmerksam zu machen», sagt Shrubsole, der sich auf das sogenannte EnclosureMovement bezieht. Insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert zäunten Gutsherren per Parlamentsbeschluss einen Gemeinschaftsacker nach dem anderen ein und privatisierten im Namen einer effizienteren Landwirtschaft rund ein Fünftel Englands.
Als die Wollindustrie zu boomen begann, brauchte es Schafweiden und Arbeiter für die Fabriken. Was die industrielle Revolution beschleunigte, zementierte die ungleichen Besitzverhältnisse. Moralisch legitimiert durch Philosophen wie John Locke. Im Urzustand möge Land zwar allen gehören, argumentierte er, wer es aber aus eigener Kraft bearbeite, habe denselben Besitzanspruch wie ein Handwerker auf den Stuhl, den er aus Holz fertige.
Um halb eins tummeln sich gegen 500 Leute am Parkeingang, flankiert von Polizisten und PR-Spezialisten des Estate, die dieses Stelldichein als «lovely» bezeichnen – bei den Parkbesitzern seien auch Leute mit anderen Ansichten willkommen.
Jede Minute kann es also losgehen, hinauf durch die Allee zu einem Pavillon aus Kalkstein, dem sogenannten Hexagon, einer der Spielereien des ersten Earl Bathurst, Richtung Poloklub zu einer fast fünf Meter hohen Kupferskulptur eines auf der Nase stehenden Pferdekopfes und immer so weiter.
Als «Jahrmarkt» stellt man sich einen Hausfriedensbruch nicht unbedingt vor. Auf dem Flyer ist die Invasion des Parks jedoch als genau das angekündigt, mit Poesie und Harfengesang, Lesungen zu historischen und botanischen Themen. Rechtlich zu befürchten gibt es kaum etwas, solange nichts beschädigt wird. Und doch atmen einige auf, als die Paywall kurzerhand aufgehoben und bis auf weiteres verschoben wird.
«Entweder ist der Druck zu gross geworden, oder sie haben es administrativ vermasselt», sagt Jon Moses, der die PR-Maschine für diesen Anlass schon vor Wochen angeworfen hat. Nun mischen sich auch Journalistinnen der «Times» oder der BBC in den Pulk, in dem die Fahnen der radikalen Umweltschutzorganisation Extinction Rebellion wehen oder jene der Cotswolds Hunt Sabs. So nennen sich die Tierrechtsaktivisten, die jetzt allen von den angeblich illegalen Fuchsjagden der Bathursts erzählen.
Für Moses läuft alles nach Plan. «Die Landbesitzer lassen uns in der Regel gewähren, um noch mehr Aufsehen zu vermeiden», sagt der 35-Jährige mit einem Lächeln im Hobbit-Gesicht. Vor vier Jahren sass der Historiker im Epping Forest am Lagerfeuer. Heute ist er Co-Direktor einer Kampagne mit acht bezahlten Mitarbeitern und besten Beziehungen zur Labour Party, die den Zugang zu Land in ihr Wahlprogramm aufnehmen will.
Eine Botanikerin zählt nun auch zum Team sowie die renommierte Biologin und Autorin Amy-Jane Beer. Und als Berater fungiert niemand Geringeres als der Schriftsteller Robert Macfarlane, die Ikone des britischen Nature Writing.
So kann man die Protestierenden auch als seine geistigen Kinder bezeichnen, die ihre eigenen Bücher schreiben. Das neuste heisst «Wild Service» und beschäftigt Nick Hayes, den einen Gründer, so sehr, dass er sich zurückgezogen hat. Und auch der andere, Guy Shrubsole, will keine weiteren Interviews geben, bloss nicht, weil im September «The Lie of the Land» erscheinen soll.
«Dieser Park hatte tatsächlich seinen Preis», ruft Moses ins Megafon. «Bezahlt haben ihn über 100 000 Sklaven, die im 17. Jahrhundert von Benjamin Bathurst in Profit verwandelt wurden. Und auch wir bezahlen, wenn jedes Jahr Hunderttausende von Pfund an landwirtschaftlichen Subventionen ins Estate fliessen.»
Es sind Anklagen, zu denen längst nicht alle applaudieren. «Möchtet ihr, dass wildfremde Leute durch eure Gärten spazieren?», heisst es etwa auf Instagram. Obschon es um Tausende Hektaren grosse Gärten geht und zu den Häusern darin Distanz gehalten werden müsste. «Völliger Nonsens», schreibt ein anderer, «ausser man will einen kommunistischen Staat.» Angeprangert wird jedoch nicht der private Besitz von Ländereien, sondern der Ausschluss davon. Und noch kontroverser diskutiert werden die Bezüge zur Sklaverei. Kann man jemanden für seine Vorfahren verantwortlich machen und für das, was vor Jahrhunderten geschehen ist?
«Nein», findet Moses. «Aber man kann auch nicht von einem Erbe profitieren, ohne die Verantwortung für seinen Ursprung zu übernehmen. Wenn das Bathurst Estate seine Verpflichtungen für den Park nicht erfüllen kann – wir übernehmen sie.»
Und so setzt sich der Tross in Bewegung, als die Sonne zwischen den Wolken durchblinzelt und die Vögel mit ihrem Gezwitscher loslegen. Die unterschiedlichsten Leute marschieren durch die Kastanienallee – von der Krankenschwester, die noch nie in ihrem Leben für irgendetwas protestiert hat, bis zum bekannten Aktivisten, der mit seinen langen weissen Haaren aussieht wie Merlin der Zauberer.
Vielen ist während der Pandemie besonders bewusst geworden, wie abgeriegelt die vielgerühmte «English Countryside» ist. «Wo ist nun der Weg?», müsse man sich als Wanderer ständig fragen. Und wo kein Schild ein Wegerecht markiere, begehe Hausfriedensbruch, wer nur sein Kajak zum Wasser trage.
Dabei klingen die Menschen fast verzweifelt, wenn sie erzählen, wie sie als Kinder über Zäune und Hecken geklettert seien, ohne eine Idee von Eigentum zu haben. Und ebendiese Freiheit möchten sie wieder erlangen in einer Landschaft, in der Wanderwege schmale Korridore zwischen riesigen Anwesen sind, die öffentliches Land einschliessen wie Inseln im Meer. Ohne Wegerecht gibt es keinen legalen Zugang. Ausser mit einem Helikopter.
So schwingt auch eine Melancholie mit in ihren Schritten, während sie am Cricket-Klub vorbeigehen. «In der Landdebatte überschneiden sich unglaublich viele Gerechtigkeitsfragen», sagt eine iranisch-britische Performancekünstlerin. Sie hat ein Instrument dabei, das wie eine Miniharfe aussieht. Mit dieser Leier will sie später ansingen gegen den «jahrhundertealten Bann».
Einst galt in Europa die Überzeugung, dass Land nur jener besitzen kann, der es erschaffen hat: Gott. Und weil der keinen Boden entlehnte und keine Steuern einzog, taten es irdische Vertreter wie Königinnen oder Kirchenoberhäupter. Das erklärt, warum dem Kloster Einsiedeln in der Schweiz am meisten Grund gehört. Global soll die katholische Kirche zu den grössten Landbesitzern zählen. Und laut Kevin Cahill, dem Autoren von «Who Owns the World», gibt es im Commonwealth immer noch riesige Landflächen, die rechtlich gesehen nur Leihgaben des britischen Königshauses sind. In Australien zum Beispiel, Kanada oder Neuseeland. Nach Cahills Schätzungen machen diese bis zu einem Sechstel der Erdoberfläche aus.
Es begann mit Wilhelm dem Eroberer, der England 1066 zerstückelte und an seine Kumpanen verteilte. Spuren der damals gelegten Strukturen haben die Jahrhunderte überdauert, in denen der Grund umkämpft, besetzt, erobert, genutzt, kultiviert, geteilt, enteignet, bebaut oder gehandelt wurde. Zu tun hat das auch mit Sexismus: Die Anwesen blieben so gross, weil die ältesten Söhne dank dem Erstgeburtsrecht alles erbten. Bis heute gehören dem Adel laut Shrubsole 30 Prozent des im Landregister erfassten Bodens, Unternehmen haben 18 Prozent und Oligarchen oder Hedge-Fund-Manager 17 Prozent.
«So ein Theater wegen vier Pfund? Meine Güte!», ruft nun einer der Sonntagsspaziergänger, die kopfschüttelnd an den Protestierenden vorübergehen. «Diese verwöhnten Bohémiens würden ihre Energie besser in wirklich Wichtiges investieren.»
Verglichen mit dem Krieg in Gaza hat er natürlich recht. Und der Tross ist ja auch ziemlich weiss, studiert und privilegiert. Aber ist Zugang zu Natur tatsächlich ein reines Luxusproblem?
Eine Idee von Antwort kommt mit der Vorstellung, was passieren würde, wenn man das Schweizer Wandervolk aus seiner Landschaft sperren würde. Für die ganze Erklärung muss man länger ausholen. Der Kern der Protestierenden ist zwischen 30 und 40 Jahre alt. Sie haben Erdkrusten an den Schuhen und abgewetzte Jacken. Sie sind Wanderer oder Wildschwimmer, die nicht länger wie Einbrecher über Mauern klettern oder durch Hecken kriechen wollen. Nichts kann sie aufhalten, mit oder ohne Right to Roam, das sie auch als Right to Reconnect bezeichnen – das Recht, sich wieder zu verbinden mit diesem Land.
Damit sind sie längst nicht die Ersten. In der Geschichte Englands haben Menschen immer wieder einen freien Zugang zu Landschaften gefordert. Was einst mit Äxten ausgefochten wurde, geschieht heute über mit Wehmuts-Folk unterlegte Instagram-Videos. Von Massenhausfriedensbrüchen bis zu Büchern mit Titeln wie «This Land Is Our Land» – das hat es alles schon gegeben. Warum also gerade jetzt?
Guy Shrubsole wurde von einem der grössten Umweltproteste Englands geprägt: Newbury Bypass heisst das Autobahnstück, für das in West Berkshire weichen musste, was er liebte. Zehntausende von uralten Eichen und Buchen, die abgeholzt wurden wie die Regenwälder im Amazonas. Das Land, auf dem sie standen, gehörte Sir Richard Sutton, der auch noch die wertvollsten Sumpfwiesen Südenglands ausbuddeln liess, um den Kies für den Bau zu liefern. So wurde Shrubsole klar, wie mächtig einzelne Landbesitzer sind. Und er begann sich zu fragen, warum eigentlich er keinen Quadratzentimeter besitzt. Als die Briten schliesslich den Austritt aus der EU beschlossen, wurde diese Frage noch dringender. «Wenn der Brexit wirklich bedeutet, die Kontrolle über unser Land zurückzuerlangen, dann möchte ich zumindest wissen, wem es gehört», schrieb er 2017 im «Guardian».
In der Schweiz erteilen die Grundbuchämter Auskunft, wem welche Parzellen gehören. In England kosten solche Auskünfte. Wer sich ein Bild von den Besitzverhältnissen machen will, braucht entweder viel Geld oder Dutzende von Anträgen auf Informationsfreiheit und jahrelange Recherchen, die für Shrubsole lange nicht abgeschlossen sind, denn rund 15 Prozent des Landes sind noch immer nicht offiziell registriert.
Gleichzeitig begann der Illustrator Nick Hayes in «The Book of Trespass» zu fragen, warum ein Verbrecher sein soll, wer im Wald so etwas Harmloses macht wie Zeichnungen von Pflanzen. Und warum Sätze wie «Sie begehen Hausfriedensbruch» so lähmend wirken wie ein Zauberspruch. Das Buch erschien zum perfekten Zeitpunkt, mitten im ersten Covid-Sommer, als die Menschen wie nie zuvor ausschwärmten in die Natur, um von Zäunen gestoppt zu werden.
2020 gründeten Shrubsole und Hayes Right to Roam. Und Monate später trafen sie Jon Moses und Paul Powlesland in jener Herbstnacht im Epping Forest. Der eine hatte sich bei den Londoner Studentenprotesten engagiert, der andere als «Lawyer for Nature» schon Baumschützer und die Natur selbst vor Gericht verteidigt.
Landbesitzer, uns von der Natur auszuschliessen, hat uns auch das Recht geraubt, für diese zu sorgen», sagt Paul Powlesland, der einen Skianzug trägt und etwas abgehoben klingt. Für den River Rodingaber, den drittgrössten Fluss Londons, muss der 38-Jährige mit den blonden Locken tatsächlich so etwas wie ein Engel sein. Seit Jahren lebt er auf einem Hausboot an dem zugemüllten und verdreckten Fluss. Er räumt die Ufer auf und zieht Firmen zur Verantwortung, die Abwasser in den Fluss fliessen lassen. Zudem hat er eine Stiftung gegründet, um am Roding eine Oase zu schaffen für die Menschen in den anliegenden Arbeiterquartieren, die weder einen Garten haben noch ein Auto, um rauszufahren.
Wenn also in zwei Wochen Ostern ist, werden die Right-to-Roamerskeine Eier suchen, sondern die Ufer von weiterem Dreck befreien. Massensaubermachen statt Massenhausfriedensbruch. Damit beginnt auch eine neue Phase der Kampagne, die man in zwei Sätze einteilen kann: Die Natur heilt uns – wir heilen die Natur.
Gesundheit, so lautet die eine Antwort auf die Frage, warum Zugang zur Natur wichtig ist für eine Gesellschaft, die immer dicker wird, kränker und depressiver. Die andere Antwort ist die Gesundheit der Umwelt selbst. «Je mehr Zeit ich in der Natur verbringe, desto grösser wird der Wunsch, sie zu schützen», sagt Powlesland, der an dasselbe Prinzip glaubt wie Jane Goodall, die als Affenforscherin berühmt wurde und heute eine Umweltikone ist: Geschützt wird, was geliebt wird. Und lieben kann man nur, was man kennt, wozu man eine Beziehung hat.
Was aber geschieht wirklich, wenn die Natur allen offensteht? Das ist die grosse Streitfrage in diesem Kampf. Gegen ein Betretungsrecht sind zum Beispiel Landwirte, deren Kühe ihre Kälber beschützen. Oder Wildhüter, die im Wald weder Grillplätze wollen noch die Abfälle, mit denen sich die Tiere verletzen können.
Es ist illusorisch, zu glauben, dass ein Betretungsrecht keine Probleme verursachen würde. Das zeigt sich hierzulande, wo schätzungsweise ein Drittel aller Wälder und Weiden kollektiv bewirtschaftet wird und die Natur allen offensteht. Grün sind deshalb noch lange nicht alle und einig schon gar nicht. Im Gegenteil: Auf Wanderwegen kommen sich zuverlässig Hündeler, Joggerinnen und Biker in die Quere. Und bei der abgelehnten Uferinitiative waren sich selbst die Naturschützer nicht einig, ob ein Zugang zum See eine gute Idee ist.
Beim Picknick ist Lord Bathurst das Thema. Paul Powlesland, der Flussretter, hat ihn heute Morgen am Zaun erspäht, als er einer Gruppe von Anwohnern erklärte, wie aufwendig der Unterhalt des Parkes sei. «Warum behalten Sie ihn dann?», habe Powlesland gefragt, und die Antwort sei gewesen: «Ich wüsste niemanden, dem ich ihn anvertrauen könnte.»
Na, wem schon? Die Right-to-Roamers zumindest sind der Überzeugung, dass sie die besten aller Landverwalter wären, zumal das Recht mit Pflichten kommen müsste und einem Verhaltenskodex. «Klar haben wir Menschen negative Auswirkungen auf die Natur, für die grossen Probleme wie Artensterben sind aber nicht Wanderer verantwortlich», sagt Shrubsole. Er hat bei Hausfriedensbrüchen viel Unschönes gesehen, das nicht hinter Mauern versteckt bleiben soll. Ein Massengrab von Fasanen zum Beispiel: 50 Millionen dieser nicht einheimischen Vögel werden angeblich jährlich gezüchtet und für die Jagd in die Natur entlassen. «Es ist obszön», sagt Shrubsole, der in seinem nächsten Buch den Mythos der guten Landbesitzer entlarven will.
Als die ersten Klänge der Leier ertönen, rücken alle näher zusammen. Sie stehen Schulter an Schulter oder halten sich an den Händen, im Wissen, wie weit sie schon gekommen sind und wie viel weiter sie noch kommen wollen. «One spell is broken, another unspoken», singt die Leierspielerinim Rauschen des Windes, und einige schliessen die Augen, als könnten sie es vor sich sehen, dieses Land, das sie für immer verändern wollen.
Ihr Land.