Asche am Himmel, Flieger am Boden: Als vor drei Wochen der Vulkan Grimsvötn spuckte, drohte Island schon wieder eine Katastrophe. Und was machte Jon Gnarr? Er publizierte auf Facebook ein Video des Ausbruchs mit dem Kommentar: «Ooops».
Jon Gnarr ist einer der mächtigsten Politiker der Insel, die über Sprüche lacht wie «We may not have cash but we’ve got ash» – kein Geld, aber Asche. Islands bester Witz aber ist er selbst. Der Comedian, der plötzlich Bürgermeister Reykjaviks war. Obwohl er keine Ahnung hatte von Politik. Oder gerade deshalb. Jetzt, ein Jahr nachdem Gnarr im Rathaus das Büro mit Blick auf den See Tjörnin bezogen hat, regiert er gemäss einer Umfrage «ehrenwerter» und «volksnaher» als alle. Der Mann, der eigentlich nur «seriösen Nonsens» kreieren will. Wie ist das möglich?
Ein Land im Rausch, das war Island vor der Krise. Zu den reichsten zählte es. Man baute Häuser, kaufte Autos. Alles auf Pump. Bis die Banken kaputtgingen und damit das Vertrauen in die Politik. Eine Nation war pleite und depressiv. Bis er kam: Jon Gnarr, 44, der Komiker mit dem Troll-Gesicht. Kaum war er da, wurde es wieder lustiger: Angetrieben vom Versagen der Regierenden gründete er die Spass-Partei «Best Party». Sang zu Tina Turners «Simply the Best» von Eisbären für den Zoo, einer drogenfreien Regierung und offener Korruption. Vorweg versprach er, alle Wahlversprechen wieder zu brechen. Wie alle Politiker. Und es geschah, was keiner für möglich hielt: Gnarr wurde samt seinen Künstlerfreunden gewählt. Er selbst Bürgermeister Reykjaviks, in dessen Grossraum zwei Drittel der Isländer leben. Es war, als wäre Mike Müller auf einmal Bundesrat.
Die Reykjaviker sagten damals nicht Ja zu Gnarr, sondern Nein zum Establishment. Am rasierten Rotschopf sieht man ihm den Ex-Punk heute noch an. Taxifahrer war der Vater von fünf Kindern zudem schon. Krankenpfleger, Bassist einer Band namens «Die triefenden Nasen», Autor, Radiomoderator, Schauspieler. Den Abschluss hat er von der «Universität von Nirgendwo», als «Professor für Nichts».
Was er denn so macht mit seiner Macht? Als Chef von 8100 Angestellten? «Das System infiltrieren, um es zu ändern», antwortet er todernst im Fauteuil seines Büros, in dem Kunst hängt wie das Island-Foto mit der Aufschrift «So fucking beautiful». Genauer: «seriösen Nonsens durch Neo-Anarchismus». Basieren tut das erstens auf Humor: «Weinende Kinder trösten wir, indem wir sie zum Lachen bringen. So ist das mit mir und Island.» Zweitens gründet es auf Vertrauen: «Ich weiss nichts. Aber ich kann delegieren.» Do-it-together-Politik. Hinter den Kulissen ist sein Team dabei, Reykjavik als Kulturstadt zu vermarkten. Erst aber muss der Dreck der anderen weggespart werden, durch Stellenabbau oder Steuererhöhung. Der Bürgermeister selbst neutralisiert den Kurs, indem er als Frau verkleidet das Schwulen-Festival eröffnet oder einen Guten-Tag-Tag lanciert, an dem sich alle Hallo sagen sollen. Den Belgiern sagt er, dass er sich im Netz am liebsten Pornos anschaut. Den Iren, dass sie Lady Gaga hören sollen, um Finanzprobleme zu lösen.
Balancieren zwischen Nonsens und Seriosität ist Gnarrs Strategie. Sie funktioniert nicht übel, in Anbetracht der desolaten Ausgangslage und der Tatsache, dass die Satire an der Macht ist: «Trotz hartem Vorgehen sind die Zustimmungsraten in Ordnung», sagt Politologe Olafur Hardarson. Kürzlich wurde Gnarr gar zum «ehrenwertesten Politiker» Islands bestimmt. Und notfalls kann er Gegnern ja immer sagen: «Den besseren Job als meine Vorgänger verrichte ich noch lange.»
Aus dem politischen Theater macht Jon Gnarr also einfach das eigene. Fragt sich, wie lange das gutgeht? Und, ob der Comedian zu dem mutiert, was er nie sein wollte: ein ernsthafter Politiker. Drei Jahre Amtszeit bleiben ihm noch. Sicher ist: Die Rolle des Bürgermeisters ist Gnarrs interessanteste. Und wenn gute Unterhaltung das Kriterium für seinen Erfolg ist, kann der nicht grösser werden.