Pro Vortrag 8000 Franken

NZZ am Sonntag, 26. Mai 2013
Die jüngste Prügelei am Mount Everest provoziert einmal mehr das Klagen über den Kommerz am Berg. Die Vorwürfe richten sich dabei an die Hobby-Alpinisten. Zu Unrecht. Um viel Geld geht es besonders bei den Profis – wenn auch nicht bei allen so sehr wie bei Ueli Steck.

Es gibt drei Alpinisten in diesem Land, die vom Bergsteigen leben: Roger Schäli, Stephan Siegrist und Ueli Steck. Sie haben sich alle einmal verliebt. In steile Wände, das Draussensein und das magische Gefühl, hohe Gipfel zu erklimmen. Sie glaubten an Werte, die keinen interessieren, weil sich damit kein Geld verdienen lässt. Inzwischen tun sie alle dasselbe, aber ganz anders: bergsteigen und sich vermarkten.

Erst ein Knacken in der Leitung, dann Windflattern. «Hallo, hallo?» Roger Schäli, 34, am Apparat. Er ist für drei Wochen auf der griechischen Insel Kalymnos: Felsen, Sonne, Meer. Schäli trainiert im Kletterferien-Paradies, während andere im Himalaja irrwitzige Rekorde aufstellen.

Ringgenberg, Berner Oberland: Stephan Siegrist, 40, telefoniert im selbstgezimmerten Haus. «Sorry», sagt Niki, seine kanadische Ehefrau, und lächelt entschuldigend, «little busy, weisch.» «Steph» ist vorzeitig vom fünfthöchsten Berg der Welt zurück. Probleme bei der Akklimatisation. Darum rufen jetzt alle an. Und wegen dieser Everest-Prügelei, zu der die beiden lieber nichts sagen, bloss nicht. Man werde zu oft verglichen, wohne im selben Dorf, «you know».

Nur fünf Fussminuten weiter dürfte Ueli Steck, 36, im nebelumhüllten Chalet sitzen. Sofern er nicht über alle Berge ist. Muss er sich doch von diesem Sherpa-Schreck erholen. «Eine Auszeit» nehmen, heisst es im Brief an die Medien. Fragen werden wie gewünscht an die Zürcher Goldküste gemailt, zu Sprecher Andreas Bantel, Profi in Sachen Krisenmanagement mit renommierten Kunden. Nun gehört auch Ueli Steck dazu.

Dass einer von ihnen je einen Image-Experten anheuern müsste, hätten die drei wohl kaum gedacht, damals, als Schäli und Siegrist in Interlaken eine WG teilten, in der die Szene inklusive Steck verkehrte und sie noch zusammen kletterten, nur so zum Spass. Heute sind die Bergmenschen mit den kernigen Gesichtern Konkurrenten in einem Sport, der sich dem Auge der Masse entzieht. Reich wie Fussballer werden sie also nicht, obwohl sie dabei ihr Leben riskieren. Und doch ist das Business so kommerziell wie nie.

Schäli, Siegrist und Steck geschäften alle nach demselben Modell: Einerseits verdienen sie durch Sponsoren, Partner und Donatoren. Hauptsponsoren sind Ausrüster, die Equipment zur Verfügung stellen und Expeditionen mitbezahlen. Kamerateams allein kosten bei einem Achttausender-Vorhaben locker 50 000 Franken, mit der Filmproduktion gehen sie in die Millionen.

Personalisierte Linie
Für ein Fixum testen die Profis Produkte, sind Fotomodell, charmieren Messekunden, bis zu einem Monat pro Jahr, je nach laufenden Projekten am Berg. Dann müssen sie Kleider-Logos in möglichst viele Kameras halten, Steck als internationaler Markenbotschafter für die personalisierte Linie von der Ueli-Hose bis zum Ueli-Zelt.

Anderseits verdienen sie an Expeditionsvorträgen. Hier kommt der Event-Veranstalter Explora ins Spiel, der die Alpinisten mit Vortragstourneen vor bis zu 1000 Leuten pro Abend bekannt macht. Steck-Storys erzielen mit Werbegeldern Umsätze bis 800 000 Franken. Er läuft mehr als doppelt so gut wie Siegrist, fünfmal so gut wie Schäli.

Lukrativ sind private Vorträge: Schäli verlangt 2000 bis 3500 Franken pro Stunde, Siegrist je nach Aufwand, Rahmen, Publikum 1000 bis 5000 und Steck 8000. Ganz oben: Reinhold Messner mit 15 000. Andere Bilanzen auch sonst: Schäli kommt mit Sponsorengeldern auf eine mittleres fünfstelliges Einkommen, Siegrists Ausrüster Mammut zahlt Top-Profis allein eine mittlere fünfstellige Zahl, und bei Mountain Hardware, Stecks Partner, bekommen internationale Athleten maximal sechsstellige Summen.

Mit Alter und Leistung allein haben die Unterschiede nichts zu tun. Roger Schäli zum Beispiel würde nie an den Everest gehen. «Zu viele Leute», sagt er. Nur schon das Base-Camp sei eine 1000-Leute-Stadt mit warmen Gipfeli am Morgen. «Ausserdem ist Klettern an Sechstausendern rein technisch schwieriger und für mich reizvoller.» Weiter erzählt er von formschönen Felslinien, der Magie der Wildnis und dem Bauchgefühl, das ihm sagt: «Wow, da muss ich hoch.» Wie beim Arwa Spire im indischen Nichts, dessen Gipfel er im September erreichte. Was aber wenn Sponsoren ihn gern an Berg-Ikonen hätten? «Dann arbeite ich lieber wieder als Bergführer.»

Denn sie müssen ja nicht nur Geschichte schreiben, sondern die auch verkaufen. In Mechanismen des Marktes gedacht, findet eine gute Geschichte nicht an irgendeinem Ende der Welt statt, das die Outdoor-Jacken kaufende Masse nichts angeht. Es muss ein ikonisches Ende sein, ein gefährliches oder 8000 Meter hohes, mindestens. Schlagworte Eiger, K2 oder Everest. Gut auch, wenn man «Speed» auf die Pressemitteilung schreiben kann. Oder «Solo». Dabei heisst das «nur» ohne Kletterpartner und von keinem Seil gesichert. Die Masse ist ja blöd, die weiss nicht, dass da noch zehn andere in der Wand sein können. Der Druck steigt weiter. Kein Wunder also, häufen sich Meldungen über gefälschte Gipfel-Fotos.

Sherpa gerettet
Man kann eine Passion laut leben und spektakulär oder so, wie Stephan Siegrist es tut: leise. Und trotzdem erfolgreich. «Es ist ein ständiges Balancieren», erklärt er am Küchentisch, während der zweijährige Xavier daneben spielt. Zeitgleich mit Steck ist auch er zu einem Achttausender aufgebrochen. Zum Makalu. In Laienohren klingt das nach einem exotischen Tanz, dabei ist der Berg nur 22 Kilometer Luftlinie vom Everest entfernt.

Grenzen der Vermarktung zog Siegrist bei der Pressearbeit. Während Schäli schon von Expeditionen gebloggt hat, will er in der Stille seine Ruhe. Fünf Einträge auf Facebook, mehr soll nicht sein. So finden sich nur drei Artikel zur Expedition in der Medien-Datenbank. Einmal ging es um einen Sherpa, den sein Team aus einer Spalte rettete, in den beiden anderen über Gesundheitsprobleme und den Abbruch. Dabei beziehen Sponsoren am Jahresende nicht nur alpinistische Leistungen in ihre Performance-Bilanzen ein, sondern auch Website-Hits und jeden Presseartikel nach Umfang, Auflage, Bildgrösse. So gesehen dürfte also der Wirbel um Stecks Sherpa-Geschichte alles andere als schädlich gewesen sein.

In Sachen PR arbeiten alle drei mit einer Mini-Schar von Freelance-Journalisten zusammen, die mit den Alpinisten so dicke sind, dass sie nicht nur viele schöne Artikel schreiben, sondern auch ganze Bücher. Win-win, gibt es überall. Wenn aber Fotograf Robert Bösch, den Steck auf seiner Website als Arbeitspartner und «Freund» bezeichnet, in der NZZ Ueli Steck interviewt, muss die journalistische Distanz definitiv angezweifelt werden. Insbesondere, wenn Steck unhinterfragt Kollegen-Bashing betreiben kann. Etwa mit diesem Kommentar zu Daniel Arnold, der am Eiger schneller war: «Man kann die Rekorde gar nicht vergleichen. Ich habe alles gespurt und bin frei geklettert. Dani hatte bei seiner Begehung eine gute Spur.»

Gerne hätte man sich auch mit Steck über seine Geschäftsphilosophie unterhalten. PR-Manager Bantel richtet aber höflichst aus, dass der jetzt also wirklich Ruhe brauche. Auf Stecks Website hingegen ist etwa Folgendes zu lesen: «Die grossen Stars unter den Bergsteigern sind oft nicht diejenigen, die ‹den Karren gerissen haben›, sondern diejenigen, die das bessere Marketing haben.»

Es hätte wirklich ein Kracher werden können: Berichterstattung im «Migros-Magazin», kritikfreie Artikel, Fotos, Videos, Gratiswerbung über Wochen. Und dann der Everest. Dieses Architekturwunder der Natur. Und mit dem Lhotse gleich noch ein Achttausender dazu. Ohne Sauerstoff. Eine Sensation.

Wären nicht diese Sherpas im Weg gewesen. Verdorben von Geld und Tourismus, wie Elite-Alpinisten erklären, um den Unterschied zwischen richtigen und falschen Bergsteigern klarzumachen, denen mit den bezahlten Träumen und denen mit den gekauften. Ist von Kommerz die Rede, sind immer nur Hobby-Bergsteiger gemeint. Dabei verdienen am Everest doch alle am meisten: die Touren-Veranstalter, die Sherpas und die Stecks. Warum auch nicht? Die Einzigen aber, die da sicher nur Geld ausgeben, sind die Bezahl-Touristen.